Es gibt bis heute keine wissenschaftlichen Belege für die Kryptopyrrolurie (KPU) beim Pferd. Experten zweifeln sogar an der Existenz dieser Krankheit. Die Erkrankung, die ihre Ursache in Darm haben soll, wird oft mit hoch dosierten Mineralstoffen behandelt, aber ist das die richtige Methode? Lass uns gemeinsam auf die Fakten schauen.
Das erwartet dich:
1. KPU – was ist das?
Die vermeintliche Entgiftungsstörung Kryptopyrrolurie (KPU) wird bei Pferden mittels eines Urintests nachgewiesen, wenn vermehrt bestimmte Stoffwechselabbauprodukte, die Pyrrole ausgeschieden werden.
Die Pyrrole, v.a. Kryptopyrrol sollen an bestimmte Nährstoffe wie Zink und Vitamin B12 und B6 binden, was zu deren vermehrter Ausscheidung und somit zu einem Mangel führt.
Ausgelöst werden soll die KPU durch eine Dysbiose: Wenn die Darmflora gestört ist, kann die Leber nicht mehr effektiv entgiften, da ihr nicht genügend aktiviertes Vitamin B6 in Form von Pyridoxal-5-Phosphat zur Verfügung steht. Der Körper reagiert darauf, indem er versucht, Toxine an Spurenelemente wie Schwefel oder Zink zu binden, was zu einem Mangel dieser wichtigen Nährstoffe führt.
Es soll zu einer Störung der Entgiftung kommen, da sowohl Zink und Schwefel als auch Vitamin B6 und B12 für den Prozess der Biotranformation benötigt werden, bei der Giftstoffe in weniger schädliche, ausscheidbare Substanzen umgewandelt werden.
Die Symptome sind sehr verwaschen: von Sehnenproblemen über Zahnerkrankungen und bis hin zu EMS und COPD soll so gut wie jede Zivilisationserkrankung mit einer KPU und der damit einhergehenden Entgiftungsstörung in Verbindung stehen.
2. Die wissenschaftliche Grundlage für die KPU
Leider gibt es bis heute keine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung, die KPU beim Pferd untersucht hat.
Es gibt allerdings Stellungnahmen von Tierärzten, genau wie Humanmedizinern, die zu folgenden Ergebnissen kommen:
Die Existenz von KPU als Krankheit wird in Frage gestellt: es wird diskutiert ob Kryptopyrrole überhaupt nachweislich im Urin vorkommen, da es sich bei der chemischen Verbindung um Hämopyrrollaktam handelt.
Pyrrole im Urin können nicht zu einem Mineralstoff- und Vitaminmangel führen: die ausgeschiedenen Mengen Kryptopyrrole sind, wenn überhaupt vorhanden, viel zu gering, Hämopyrrollaktam ist chemisch gar nicht in der Lage Zink oder Vitamin B6 zu binden.
Die wissenschaftlichen Quellen nenne ich Dir natürlich unten im Beitrag.
Unabhängig von dem fehlen der wissenschaftlichen Nachweise, stimme ich Verfechtern der KPU in einem zu:
das Darmmikrobiom spielt eine essentielle Rolle bei der Gesundheit der Pferde. Dysbiosen sind mit eng mit Zivilisationserkrankungen verknüpft und viele Pferde leiden heute unter Artenarmut und Artenverschiebungen in ihrem Darm.
3. Problematisch ist die klassische Behandlung der KPU
Wird bei einem beispielsweise mittels eines Urintests die Diagnose KPU gestellt, wird der Fokus der Therapie klassischer Weise auf den vermeintlichen großen Verlust der Mineralstoffe und Vitamine gelegt. Dementsprechend sollen die Pferde mit hoch dosiert synthetisch mit Zink, Schwefel, Vitamin B12 und B6 versorgt werden. Häufig zusätzlich zu ihrem Mineralfutter und oft über die empfohlene Tagesmenge dosiert, da der Bedarf durch die extrem hohe Ausscheidung dieser Stoffe anders nicht gedeckt werden könne.
Entsprechende überteuerte Futtermittel stehen selbstverständlich zur Verfügung.
a) Erster Punkt der Behandlung: die B-Vitamine
Auch wenn die zugefütterten B-Vitamine in meinen Augen nicht das größte Problem darstellen, drei Aspekte, die wir beachten sollten:
Das Darmmikrobiom stellt beim gesunden Pferd nicht nur Vitamin B6 und B12 her, auch B1, 2, 3, 7, 9 und Vitamin K werden produziert und sind teilweise in der Entgiftung involviert und werden bei der klassischen KPU Therapie ignoriert.
Wenn aktiviertes Vitamin B-6 (P5P, Pyridoxal-5-Phosphat) gefüttert wird, muss dieses für die Aufnahme durch die Darmschleimhaut zunächst dephosphoryliert, also wieder deaktiviert werden – es ist also egal, ob du Pyridoxal oder möglicherweise überteuertes P5P fütterst.
Auch eine übermäßige Supplementierung von B-Vitaminen kann schädlich sein: gerade Vitamin B6 und B12 erhöhen bei übermäßiger Aufnahme das Krebsrisiko, Vitamin B9 (Folsäure) hingegen steht in Verbindung mit Insulinresistenzen.
3.2 Zweiter Punkt der Behandlung: Zink
Sehr kritisch sehe ich die hohe Zinksupplementierung: Zink hat eine antimikrobielle Wirkung – es hemmt das Wachstum von Bakterien (daher verwenden wir auch gerne Zinksalben).
Diese antimikrobielle Wirkung beschränkt sich nicht auf die Haut: auch im Darm übt Zink einen Selektionsdruck auf die vorhandenen Bakterien aus
In einer Studie von 2022 wurde der Einfluss einer steigenden Zinksupplementierung auf das Mikrobiom von Pferden untersucht:
Mit steigender Zinkkonzentration wurde ein Artenverlust, also eine Verringerung der bakteriellen Vielfalt verzeichnet.
Auch die Butyratproduktion durch Bakterien wurde mit steigender Konzentration reduziert: Butyrat dient als Energiequelle für die Darmzellen, ein Mangel steht mit entzündlichen Darmerkrankungen, Allergien, Insulinresistenz und vielen anderen Zivilisationserkrankungen in Verbindung.
Diese Veränderungen des Darmmikrobioms zeigen, dass Zink Dysbiosen auslösen oder fördern kann– paradox eine Erkrankung, deren Ursache eine Dysbiose sein soll, damit zu behandeln.
4. Was hilft wirklich bei Dysbiosen?
Unabhängig davon, ob die Erkrankung KPU existiert oder nicht:
Dysbiosen sollten in ihrer Ursache behandelt werden, nicht die entstehenden Mineralstoff- und Vitaminmängel (sofern sie überhaupt existieren) als Symptom bekämpft werden.
Die wissenschaftliche Forschung genau wie die Erfahrung zeigen: viele Pferde reagieren mit ihrem Darmmikrobiom sensibel auf Mineralstoffe, gerade auf das beliebte Zink ↠ eine minimalistische, möglichst natürliche Grundversorgung ist das A und O einer mikrobiomfreundlichen Ernährung, die eine Wiederansiedlung diverser Bakterien erst möglich macht.
Viel wichtiger und nachhaltiger Darm mit allerlei Präbiotika, Probiotika oder Kuren zu sanieren ist es, unseren Pferden wieder mehr Zugang zu Mikroorganismen und Pflanzenvielfalt zu geben, die Ernährung so natürlich wie möglich zu gestalten und schädliche Einflüsse zu minimieren.
Wenn Du genauer nachlesen möchtest, warum so viele Pferde heutzutage unter Dysbiosen leiden und warum die klassischen Ansätze selten erfolgreich sind, schau einmal in diesem Artikel vorbei:
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Die Wiederherstellung der natürlichen Artenvielfalt und die Therapie von Dysbiosen sind die Basis meines Online-Kurses „Mikrobiomfreundliche Pferdeernährung“.
Hier tauchst Du in die faszinierende Welt des Pferdedarmmikrobioms ein und lernst, wie Dysbiosen mit Zivilisationserkrankungen wie Insulinresistenz, Allergien, Muskelerkrankungen oder Entgiftungsstörungen verknüpft sind.
Der Kurs vermittelt Dir ganz praxisnah, wie Du diese Erkrankungen an ihrem Ursprung behandelst und Deinem Pferd mit Hilfe der Natur dauerhaft zu einem gesunden Darmmikrobiom verhelfen kannst. Die Kursinhalte basieren auf aktueller wissenschaftlicher Forschung und behandeln das Thema Pferdedarmmikrobiom fernab von veralteten und nicht erwiesenen Praktiken und Theorien wie Darmsanierungen, KPU oder probiotischen Futtermitteln.
5. Quellen
Möchtest du dir selbst ein Bild von den wissenschaftlichen Grundlagen machen, auf die ich mich beziehe?
Die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung zur KPU beim Pferd (keine Untersuchung), die ich finden konnte:
K. Roscher and I. Vervuert, “Mythos Kryptopyrrolurie aus Sicht der Diagnostik und Fütterung,” Leipziger Tierärztekongress, vol. LBH: 8, no. Tagungsband 2, pp. 11–121, 2016.
Betrachtung der KPU beim Menschen:
J. Kinkeldei, “Kryptopyrrole: A forgotten but important diagnostic parameter?,” 2010.
Veröffentlichungen und Untersuchungen zum Thema B-Vitamine und Zink bei Pferden:
Opinion on Pyridoxal 5’-phosphate as a source for vitamin B6 added for nutritional purposes in food supplements - Scientific Panel on Food Additives, Flavourings,
Processing Aids and Materials in Contact with Food,” EFSA J., vol. 6, no. 7, Jul. 2008.
N. Paßlack, S. van Bömmel-Wegmann, W. Vahjen, and J. Zentek, “Impact of Dietary Zinc Chloride Hydroxide and Zinc Methionine on the Faecal Microbiota of Healthy Adult Horses and Ponies,” J. Equine Vet. Sci., vol. 110, p. 103804, Mar. 2022.
Über mich:
Ich bin Michelle und lebe mit meinen beiden Pferden Fjörnir und Vindur in der schönen Bielefelder Senne und habe das Glück mit Equiflora meine beiden großen Leidenschaften Pferde und die (Mikro)biologie verbinden zu können. Ich bin mit Pferden aufgewachsen und beschäftige mich als Biotechnologin und Molekularbiologin seit über sieben Jahren als Wissenschaftlerin in der industriellen Forschung mit dem Mikrobiom von Tieren und Menschen. Meine Begeisterung für Pferde und Mikroorganismen hat mich zur Pferdeernährung geführt.
Mein Online-Kurs "Mikrobiomfreundliche Pferdeernährung" konzentriert sich auf die die Wiederherstellung der natürlichen Artenvielfalt im Pferdedarm und die Therapie von Dysbiosen im Kontext von Zivilisationserkrankungen.
Mit meiner Firma Natural Equibalance entwickele ich meine eigenen mikrobiomfreundlichen Futtermittel.
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